Schwachleister - Zynismus bei Entfremdung und Stress bei der Arbeit
Schwachleister - Wenn die Arbeitswelt zynische Vorgaben und Begriffe wählt

Dieser Text ist schon etwas älter und wurde auf einem älteren Blog von mir schon einmal veröffentlicht. 

So wie Milch bitter werden kann, so gibt es eben auch eine Verbitterungsstörung (nach Prof. Linden). Ich finde, das passt manchmal ganz gut. 

Jedes Kind bekommt mit den ersten Zähnen beigebracht, auf die eigene Gesundheit zu achten. „Putze die Zähne, sonst verlierst Du einen Zahn“, „zieh dich warm an, sonst erkältest Du dich“ und so weiter. Bloss keine Infektion im fremden Klo, also Hände waschen.

Psycho-Hygiene oder eine Art selbstsorgsamer Umgang mit der eigenen emotionalen Hygiene und Abwehrkräfte kommt aber irgendwie nicht vor. 

Selbstfürsorge im Sinnen von Systempflege für uns selber? Das lernen wir (noch) nicht.

Neulich habe ich einen Beitrag im Fernsehen über Männer-Medizin gesehen. Sinngemäss ging es darum, dass Männer so ab 45 oder aufwärts halt gesundheitlich häufig auf dem Zahnfleisch gehen, weil sie nicht wahrnehmen können oder wollen, dass sie keine 21 mehr sind.

Das hat nicht nur was mit dem eigenen Ego zu tun, sondern hat handfeste Auswirkungen auf die Gesundheit. Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel, Übergewicht , Rückenschmerzen  oder mal eine oder mehrere durchzechte Nächte steckt man in jungen Jahren leider wesentlich besser weg, als nun im „Mittelalter“. Ganz zu schweigen von sexuellen Funktionsstörungen oder gar Prostata-Hypertrophie….

Männer haben offenbar ein größeres Talent, dies zu übersehen. Das treibt sie seltener zum Arzt oder gar Psychotherapeuten  und noch seltener in psychosomatische Kliniken als nun ihre gleichalten Lebensabschnittsbegleiterinnen.
Während das Auto spätestens im Oktober nicht nur eine Generalüberholung, sondern auch neue Winterreifen und Frostschutz sowie einen Ölwechsel spendiert  bekommt, wird ein eigener Gesundeits-Check auf „später“ verschoben. Geld für die eigene Gesundheit ausgeben, ist nicht drinn. Für die eigene psychische Gesundheit wird allenfalls ein Duftbad für die Frau Gemahlin in Erwägung gezogen.

Leider manchmal  mit der  „Nebenwirkung“, dass allein bei uns im Dorf dann etliche Männer im besten Alter  plötzlich und unerwartet einen tödlichen Herzinfarkt und sonstige Gründe für vorzeitiges Ableben fanden. Meistens trifft es die Falschen.
Jedenfalls scheint es aus welchen Gründen auch immer Männer nicht so emotional zu tangieren, dass ihre Belastungsgrenzen und körpereigenen Reparaturmechanismen der Regeneration und Selbstheilung über Nacht nun irgendwie immer weniger gut greifen.

Bis zu einem bestimmten Punkt klappt also die körpereigene Regulation und Regenerationsleistung noch „automatisch“, aber irgendwann wäre sowas wie gesundheitsbewusstes Verhaltens angebracht. Bei dem EInen früher als bei Anderen. Menschen aus dem ADHS-und Autismus-Spektrum gehören eher zu den „früher“ Betroffenen.

Häufig fängt die neuropsychologische Fähigkeit zur Selbstüberwachung des eigenen (Gesundheits-)Verhalten  erst mit dem ersten Warnschuss in Form eines überlebten Herzinfarktes oder aber sonstiger einschneidender Erlebnisse. Bei anderen Menschen (z.B. aus dem ADHS-Spektrum) möglicherweise deutlich verspätet bis nie.

Bis es bei Dir selbst oder in dem eigenen beruflichen oder privaten Umfeld dann doch einschlägt.

Dann aber häufig unter großem Wehklagen bzw. einem emotionalem Weltuntergangsgefühl. Wie halt Männer so sind, wenn ihr Gefühl von Unverletzbarkeit und ewiger Jugend durch die ersten grauen Haare in Frage gestellt werden. Erste Zeichen der Midlife-Crisis… Alarm !!!!!!

Ich will nun wirklich nicht behaupten, dass Man(n) darauf nun stolz sein sollte oder dies nun erstrebenswert wäre.  Und die üblichen (?) dysfunktionalen Versuche der Midlife-Crisis nun sich selber neu zu erfinden oder von aussen über Statussymbole oder gar neue Freundin kurzzeitig „feiern“ zu lassen, sind natürlich eher peinlich als wirksam. Männer werden aber eben seltener psychosomatisch / psychiatrisch krank. Bei uns in der Klinik (sogar unter Einschluss der orthopädischen Patienten) ist das Verhältnis etwa 25 : 75 Männer zu Frauen.

Sie (bzw. Mann)  sind aber dennoch dann unzufrieden bzw. dysphorisch und machen dafür ihre Familie kirre bzw. verrückt. Und krank. Oder tyrannisieren ihre Arbeitskolleginnen. Die anderen sind dann schuld.

Anders ausgedrückt : Männer scheinen nun in gewisser Weise emotionale und körperliche Selbstwahrnehmung häufig kaum in Übereinstimmung zu bringen. Sie trennen (dissoziieren) da ihre Wahrnehmung. Und sie werden emotional total unflexibel und verursachen damit Generve bzw. Irritation in ihrem Umfeld.

Das ist alles andere als ein Zeichen von Gesundheit, wird aber eher in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Rollenerwartungen und Anforderungen zu halten sein. Damit meine ich, dass dieses Nicht-Wahrnehmen durchaus auch eine Art Schutzfunktion haben kann.

Auch wenn Frauen nun natürlich nie älter werden (dürfen), sind auch sie nun hinsichtlich ihrer körperlichen wie auch emotionalen Selbstüberwachung uns Männern irgendwie „voraus“.
Aber eben nicht nur auf der körperlichen Belastungsebene, sondern auch auf der emotionalen Empfindungsschmerzgrenze.

Wer empfindsamer ist, gilt aber als „schwach“.

Als "Schwachleister"


Begriffe wie „Schwachleister“  sind offenbar nicht nur bei der Post geläufig. In einem Fürsorglichen Personalgespräch wird auf Mitarbeitern in zunehmend mehr Branchen ein Druck ausgeübt, einen „flexiblen“ Personaleinsatz zu unterstützen.

Das bedeutet dann zunehmende Kündigungen, größerer Zustellbezirk, Mehrarbeit durch Ausfall von Kollegen und Kolleginnen und emotionale Daueranspannung durch die Angst, dass der Arbeitsvertrag befristet ist.

Was heisst das aber in der Praxis ? Gerade in Branchen, in denen berufstätige (häufig noch alleinerziehende) Frauen tätig sind, wird über befristete Arbeitsverträge und eine zunehmende Rationalisierung (ein hier eher unpassender Begriff) von Arbeitsplätze eine Verdichtung von Arbeit und eine Takt-losigkeit in Kauf genommen.

Eine Entfremdung von normalen biologischen Tag-Nacht-Rhythmen, immer längerer Anfahrtswegen und eben der Forderung nach „Flexibilisierung“. Was aber zu einer genau gegenteiligen Entwicklung für die Psyche führen muss.

Die „Flexibilisierung“ muss zur Verhärtung und Verbitterung beitragen, wenn es dafür keinen Ausgleich gibt. Ich habe ja schon in dem Beitrag zum Zeitnotstand bzw. der neuen Armut genau in diese Kerbe geschlagen. Flexibilisierung für einen Arbeitgeber führt dazu, dass die Handlungfreiheiten und Möglichkeiten zur Anpassung für den betroffenenen Arbeitnehmer eingeschränkt und aufgehoben werden.

Wir hatten und haben.  immer wieder Mitarbeiter aus Call-Centern, den Discount-Einkaufsmärkten oder Schein-Selbstständigen Kurierfahrern etc, die in eine ähnliche Zwickmühle geraten, die dann in eine Erschöpfungsdepression führen muss.

Speziell dann, wenn das familiäre Umfeld dieses Ausnutzen seitens der Arbeitsgeber nicht mehr mitmachen (können) bzw. eigene Angehörige wie pflegebedürftige Eltern oder aber Kinder zu versorgen sind.

Dann von „Schwachleistern“ zu sprechen, die die völlig unrealistischen Zielvorgaben eines Managers bzw. leitenden Angestellten nicht erfüllen, ist an Abgebrühtheit und Unanständigkeit  nicht zu überbieten.

Burnout scheint mehr oder weniger lieber auf die dagegen ja fast trivial wirkende Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens bei Managern begrenzt zu werden.  Letztlich müsste man dann eben genau den Politikern bzw. Arbeitgebern genau die psychische Notlage wünschen, die sie letztlich mitverantworten.

Neurotypische Menschen mögen damit noch klar kommen. Menschen mit psychischen Belastungen bzw. einer besonderen Empfindsamkeit werden dann aber „Aussteigen“. Entweder in Resignation, in Irritation oder in Aggression.

Es ist schrecklich dann  zu hören, dass ein Job-Center-Gutachter umgebracht wurde. Aber die Leidtragenden sind dann eben eher die Mitarbeiter und weniger Diejenigen, die die Bestimmungen und Gesetze und die dazu unpassenden Ausführungsbestimmungen durchsetzen. (Womit ich keinesfalls in irgendeiner Form den Mord an dem Gutachter relativieren möchte). Es geht mir eher darum, dass die Auswirkungen einer veränderten Gesellschaft bzw. sozialem und beruflichem Un-Gerechtigkeitsempfinden die Arbeitsnehmer zu schultern haben.

Diejenigen, die das wahr-nehmen, wären eigentlich „gesund“. Wir bezeichnen sie aber als krank, weil man so zugeben müsste, dass die Struktur bzw. das Umfeld krank ist. Verkehrte Welt.

Gibt es ein „zuviel“ von Gesundheit ?

Gerade als Arzt bzw. Psychotherapeut erlebe ich nicht selten hochsensible bzw. sehr kluge und feinfühlige Frauen (und natürlich auch mal Männer), die „zu gesund“ für diese Welt sind.
Damit meine ich, dass sie sehr reizoffen und sensibel Missstände und Unzulänglichkeiten in ihrer sozialen wie beruflichen Umgebung erfassen. Aber eben nicht verändern können.

Es ist blöd, wenn man so gesund (im Sinne von gut-mütig und achtsam) und feinfühlig ist, dass man einen Miss-Stand spürt, ihn aber nicht verändern kann. So wie ADHS-Kinder eben Indikatorkinder für strukturelle bzw. persönliche Schuldefizite von Schulen bzw. Lehrkräften sind, so sind sehr häufig Burnout oder Erschöpfungsdepressionen in einer Abteilung eben vermehrt zu finden. Sie sind Indikator für eine verpestete emotionale Atmosphäre bzw. eine inhumane Entwicklung bestimmter (nicht aller) Arbeitswelten.

Bedingt durch eigene Schlafstörungen habe ich ein hörenswertes Interview mit Norbert Blüm zu seinem Buch „Einspruch“ gehört. Es ist eher eine Polemik oder teilweise zynische Anklage über Missstände in unserem Justizsystem. Er prangert ein Verlust bzw. geradezu eine Verachtung der Anständigkeit durch verschiedenste Beteiligte der Justiz an und gibt genug Beispiele, die dem gesunden Menschenverstand an Gerechtigkeit und Anstand der Justiz zuwider laufen. Und es ist ja nicht nur die Justiz, Und er sagte :

Mit der Verachtung der Wahrheit beginnt die Ungerechtigkeit.

Viele Menschen erleben ein Gefühl des Ausgeliefertsein bzw. der erlebten Hilflosigkeit und (auch objektiven) Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit Arbeitgebern,  Behörden, Schule, Krankenkasse oder Rentenversicherung, Job-Center oder ihrer Bank und und und. Sie werden objektiv gesehen unfair bzw. zumindest hart am Rande der juristischen Legalität behandelt. Und es wird ihnen zugemutet, dass sie dann juristische Wege in Kauf nehmen  müssten, wenn ihr gutes Recht eben aus Kostengründen zunächst nicht gewährt wird. Und es ist inzwischen allein aus finanziellen Beweggründen der Städte   fast schon die Regel, dass die Wahrheit bzw. der Weg zu eigenen berechtigten Ansprüchen und Hilfen von den zuständigen Stellen mit Verachtung gestraft werden.

 

Zudem gibt es fast  überall  an Arbeitsstätten den oder die „unaushaltbare“ Kollegin oder aber ein Vorgesetzter, der nun nur Kraft irgendwelcher Beziehungen oder Seilschaften in eine Position gekommen ist, in der er oder sie nicht hingehört. Wo ein Betrieb oder eine Organisation wesentlich besser funktionieren würde, wenn diese emotionale Vergiftung des Arbeitsklimas eben zu den von mir oben genannten Männern gehören würden, die vorzeitig und unerwartet ihrer Witwe ein sorgenfreieres Leben ermöglichen würden. Leider haben ausgerechnet diese Menschen offenbar eine stabile Abwehr bzw. werden nicht krank. Sie lassen krank werden.

Wenn sie wenigstens wegbefördert würden…. Was aber nicht passiert, weil ja allgemein in der Firma bekannt ist, dass diese Person nun ganze Abteilungen in den Krankenstand des Burnout oder einer Erschöpfungsdepression treiben kann.

 

Diese fortgesetzte Missachtung der eigenen Anständigkeit bzw. von Echtheit und Wahrheit, führt zur Verbitterung. Zumindest dann, wenn in der eigenen Biographie sich schon ähnliche Hilflosigkeitserfahrungen bzw. Macht-Strukturen auffinden lassen, die also einen ungünstigen Nährboden für das Wiedererleben eines solchen bitteren Schmerzes ermöglichen.

Auch wenn die von Prof. Linden aus Berlin als Verbitterungsstörung bezeichnete Problematik keine offizielle DSM- oder ICD-Diagnosekategorie ist, so finden wir immer häufiger Patientinnen und Patienten, die eine solche Problematik aufweisen.

Ich bin sehr froh, dass ich bei meinem derzeitigen Arbeitgeber ein Umfeld von Gesundheit gefunden habe, wo ich solche Störfaktoren minimieren kann. Oder besser damit umgehen kann.