Stressbewältigung bei Kindern und Jugendlichen mit und ohne sozialpädagogischem Förderbedarf
Stressbewältigungsstrategien bei Kindern mit und ohne Förderbedarf

Stressbewältigung für Kinder (und ihre Angehörigen) mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf

Aktuell erhalte ich fast wöchentlich einen Anruf einer sehr geschätzten Kollegin aus dem KJP-Bereich, die mir eine Mutter (ja, meist sind es dann leider die Mütter) mit Erschöpfungssyndromen bzw. schweren Depressionen / Ängsten vorstellt bzw. zuweisen will.  Das können wir gar nicht leisten (und sind eigentlich auch dafür gar nicht zuständig). Aber der Bedarf ist einfach enorm... Und geht eindeutig über Mutter-Kind-Kuren oder Reha hinaus. Mit dem Wiederbeginn von Kindergärten und Schulen steigt die Umstellungsanforderung bzw. Stressbelastungen für unsere Kinder, für uns Eltern aber eben auch Erzieher, Lehrer und sonstige "in sozialen Berufen" tätige Kolleginnen und Kollegen. Und das erheblich. Heute geht dann ein neuer Kurs Emoflex zur Stressbewältigung über innere Bilder und bilateraler Stimulation wie bei EMDR los.  Und Ende September werde ich dann bei Pontixx eV an einem Symposium teilnehmen (leider wohl schon ausgebucht), das sich auch mit der Frage der sicheren Erziehung und Förderung von Kindern mit ADS und ADHS beschäftigt.  U.a. werde ich da auf Überlegungen zur Polyvagal-Theorie beschäftigen. Und in diesem Zusammenhang habe ich dann mich mit der Frage auseinander gesetzt (oder setzen müssen), ob nun neuotypische Kinder (also die stinknormalen) Kids anders (besser?) mit diesen emotionalen Herausforderungen und Belastungen umgehen als Kinder mit ADHS, aus dem Autismus-Spektrum oder eben generell mit einem sogenannten sonderpädagogischen Förderbedarf. Wenn du Vater oder Mutter (bzw. Angehöriger) von einem Kind bzw. einer Familie von Kindern mit Entwicklungsbesonderheiten bzw. sog. sozialpädagogischem Förderbedarf bist, schreibe ich eine Binsenweisheit:

Kinder erleben chronischen Stress - nicht nur in der Schule
Und besondere Kinder erleben besonderen Stress.

Oder anders ausgedrückt : Ihre sog. Vulnerabilität ist bereits angeboren anders (im Sinne von intensiver) beispielsweise durch Regulations- und Emotionssteuerungsprobleme. Eigentlich ist es logisch, dass da multiple Zusamenhänge sind : 

  • häufig frühere Regulationsstörungen im Kleinkindesalter mit frühen Stresserfahrungen (bei Kind und Eltern)
  • 30 prozentige emotionale Entwicklungsverzögerung mit entsprechenden Überforderungen der Anforderungen an Selbstregulation und Emotionskontrolle
  • In 75 Prozent Regulationsstörungen im Schlaf mit Schlafmangel bzw. Schlafphasenverlagerung (bei den Kindern, aber auch bei den Erwachsenen)
  • zu früher Schulbeginn (zumindest für einen Großteil der Kinder und besonders Jugendlich
  • Zu frühes Einfordern von Selbstständigkeit und nicht kindgerechte bzw. entwicklungspsychologisch passende Schulcurricula
  • niedrigere Stress-Schwelle bei Reizoffenheit und Reizfilterschwäche
  • höhere emotionale Belastung aufgrund der defizitären emotionalen Selbstregulation / Rejection sensitive dysphoria
  • höhere Belastung durch Begleit- und Folgestörungen bzw. Lernstörungen und Blockaden
  • schnellere Erregung und langsameres Abklingen der Stressregulation
  • 12000 mehr negative Erfahrungen und höhere Empfindsamkeit für Kritik / negative hot executive functions bis zum 12. Lebensjahr
  • mehr negative Lebensereignisse im Sinne traumarelevanter Adverse childhood events
  • geringe Copingmöglichkeiten, also aktive Bewältigungsoptionen über soziale Kontakte, Sport, Bewegung (u.a. auch im Rahmen von Corona) 

und und und (denn diese Auflistung erfüllt keinesfall den Anspruch auf Vollständigkeit) Es geht also stressiger bzw. emotional belastender zu und das sowohl auf der Seite der Kinder, uns Eltern wie auch dann der Profis in den Kindergärten, Schulen oder Jugendhilfeeinrichtungen. Statt win-win-win eher ein tripple-loose (also eine Abwärtsspirale auf Seiten der Kinder, Eltern und professionellen Helfern). 

Überforderte Kinder und Eltern


Kinder haben heute immer weniger Zeit für Kindsein. Für Spielen, für Förderung der Selbstregulation und Training der höheren Handlungsfunktionen (Exekutivfunktionen) durch Spielen, Toben in der Natur, Gemeinschaft untereinander, Sport, Musik oder Engagement in Vereinen oder Jugendgruppen. Das ist nicht die Ursache ihrer Probleme. Aber ein Faktor, der ganz sicher nicht zur Besserung beiträgt, sondern die Stressbelastung noch steigert. Leider gilt das noch stärker für neurodiverse Kinder bzw. Kinder mit Förderbedarf, weil sie noch mehr Zeit für Hausaufgaben und zudem noch mit Therapie verbringen. Wirklich fundierte Hilfsangebote finden sich selten. 

Paradoxerweise erwartet man (zumindest einige Lehrer oder auch Ärzte), dass über Zusammenreissen oder "Wille" die Kinder sich dann besser konzentrieren oder anders verhalten können. 

Kranke Helfer in einer unwirklichen Arbeitsumgebung 

 In der Klinik habe ich (völlig unabhängig von ADHS) wiederum sowas wie das Who is Who der Sozialarbeit und Sonderpädagogik als Klienten .  Zu uns kommen sehr empathische, also feinfühlige und super engagierte Menschen. Meistens eben aus dem Sozial-und Therapiebereich. Manchmal denke ich, ich habe inzwischen alle Ergotherapeuten aus Deutschland kennenlernen dürfen / müssen. Unendlich viele Erzieherinnen und  Sonderpädagogen / Sozialarbeiter. Nicht zu reden / schreiben von unzähligen Yoga-Therapeuten und Organisations-Coaches. Alle mit schweren Stressfolgestörungen (nicht selten aber auf der Grundlage von eigenen frühen Regulationsstörungen oder eben ADHS / Legasthenie) und negativen bis traumatischen Erfahrungen in ihren Ursprungsfamilien. Das war und bleibt ja häufig der Antreiber, sich sozial zu engagieren. Und dabei eben ohne Schutz und spezielle Psychohygienemaßnahmen eben quasi verbrannt zu werden. Verbrannte / traumatisierte Helfer können aber unseren Kindern eben nicht gerecht werden und schon gar nicht ein Modell für Selbstregulation und Selbstmitgefühl sein. Mit einer Depression bzw. chronischen Verbitterungsstörung / PTBS ist man nicht gut belastbar im Umgang mit herausfordernden Arbeitsbedingungen und hohen emotionalen Anforderungen an Abgrenzung und Förderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.



Fehlende Hilfsangebote 


Gestern rief mich ein Hausarzt verzweiflt an. Es ging um eine Patientin, der es buchstäblich die Sprache verschlagen hatte. Ob nun wegen dieser Themen, weiss ich gar nicht. Aber ich konnte diese Klientin nicht aufnehmen und der Kollege ist verzweifelt, was er als Allgemeinmediziner dann machen soll. Denn letztlich ist es selbst für uns Profis schwer, die richtigen Wege zu finden bzw. eine Orientierung in dem Netz von Hilfsangeboten zu geben. Häufig hat das Angebot des Psychosozialen Netzes aber genau für meine Zielgruppe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit sonderpädagogischen Förderbedarf sehr weite Löcher. Man fällt durch das Netz Monatelange Wartezeiten auf Hilfe im Psychotherapiebereich. Aber auch dann eben eher eine Selektion und häufige Absagen. Und sogar Kinderpsychiater, die dann die Existenz von ADHS leugnen. 

Schreib mir in den Kommentaren, welche Hilfsmöglichkeiten Du dazu gefunden hast bzw. nutzt